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Das fruchtbare Anthropos-Jahr in der Ukraine

Das Anthropos-Jahr 2017/2018 war für die Arbeit des deutschen Anthropos-Vereins in der Ukraine ein Jahr des Ausprobierens, neuer Einblicke, des Auf- und Ausbaus, sowie neuer Einsichten.

Ich empfinde die Entwicklung der Arbeit in der Ukraine wie die eines Samenkorns: Nach den ersten Wurzeln im Jahre 2016 keimte er jetzt auf, entwickelte einen stabilen Stiel und erste saftige grüne Blätter.

Den „Stiel“ bilden in meinen Augen die zwei unermüdlichen, mutigen und kreativen Frauen – Olena Sydorenko und Marta Simotjuk. Olena ist Professorin im Bereich Lebensmittelchemie und Lebensmitteltechnologie an der Kiewer Universität für Handel und Wirtschaft, die alle Veranstaltungen in Kiew organisiert und die Arbeit des Anthropos-Vereins in der Ukraine koordiniert. Sie begeistert und beseelt. Marta ist Pädagogin und Psychologin, die uns 2017 nach ihrem ersten Seminar mit Hans-Wolff Graf in Kiew spontan nach Iwano-Frankiwsk in den Westen der Ukraine einlud und sofort sehr engagiert die Arbeit vor Ort ansteuerte.

Die „Blätter“, das sind die Ortschaften, in denen sich die Aktivitäten vom ‚Anthropos e.V. – Für die Kinder dieser Welt‘ entfalten: In diesem Jahr kam die Kleinstadt Repki im Norden der Ukraine mit zwei Schulen und einigen sehr interessierten Schülern hinzu.

Obwohl die thematische Breite der Bildungsveranstaltungen in der Ukraine groß war, zog sich die Suche nach Innerer Freiheit‘ wie ein roter Faden durch alle Themen und Fragen.

Wie kann sie – diese ‚Innere Freiheit‘ – definiert werden? Hans-Wolff Graf faßte es in einem Satz sehr treffend zusammen:

Ein von persönlicher Würde und natürlichem Ethos geprägtes Leben, getragen von Neugier, Interesse und Lebenslust, verkörpert ein Höchstmaß an Innerer Freiheit.“

Egal, wie der Titel der jeweiligen Veranstaltung lautete, bei jedem Thema ging es schlußendlich darum, ein besseres Verständnis für die innere sowie äußere Welt zu gewinnen; eigene Neugier, Lust und Interesse wiederzuentdecken und auszuleben. Denn viel zu oft lassen wir uns unsere „Lebensflügel“ stutzen und uns durch Gebote und Verbote, moralische Regeln und aufgezwungene Ängste einzwängen. Viel zu oft geben wir unsere Träume auf, ohne ihnen eine Chance zu gewähren, sich zu unseren Zielen zu entwickeln. Wir lassen uns einreden, daß jeder einzelne nichts verändern kann und vergessen dabei unsere Stärken, aus denen heraus wir in der Lage wären, erste Schritte zu erwünschten Entwicklungen in unserer Welt zu machen, kraftvoll und mutig zu nutzen.

Einige der Seminarthemen in diesem Jahr waren sehr persönlich, wie zum Beispiel: „Hat Liebe Regeln?“, „Eltern und Kinder – Freunde, Partner oder Feinde?“, „Gibt es schwierige Kinder?“, „Wie kann man sich mit dem eigenen Lebensdreieck, bestehend aus Körper, Geist und Seele, anfreunden und zum Kapitän des eigenen Lebens werden?“ oder „Woher kommen unsere Ängste?“.

Andere Seminare hatten als Ziel, im Dialog zwischen Erziehern, Lehrern und Kindern die Vision einer neuartigen Zusammenarbeit im Kindergarten oder in der Schule zu entwickeln, die einer wirklichen Begleitung der Kinder entspräche und keine Formung nach den Vorstellungen der Erwachsenen darstellt.

Erzieher-Seminargruppe in Iwano-Frankiwsk

Reges Interesse auch nach dem Vortrag in der Kiewer Universität für Handel und Wirtschaft

An der Kiewer Universität für Handel und Wirtschaft gab es außerdem zwei Vorträge, bei denen es darum ging, die große Welt um uns herum ein wenig tiefer zu verstehen und zu überlegen, was jeder von uns für eine positive Veränderung tun kann. Eine Vorlesung war der Vorstellung der Studie ‚UNSERE WELT‘ gewidmet (einer 1992/93 von Hans-Wolff Graf erstellten sozial- und wirtschaftspolitischen Untersuchung von 180 Ländern dieser Welt). Alle 200 Studenten im großen Hörsaal waren still und sehr aufmerksam, weil ihnen viele Zusammenhänge innerhalb von nur drei Unterrichtstunden klar wurden und außerdem der Lösungsansatz – der Zugang zu Bildung – eigentlich viel einfacher ist, als uns dies das politische System zu suggerieren versucht. Beim zweiten Vortrag handelte es sich um eine Vorstellung des ‚Steuer-, Wirtschafts- und Sozialkonzepts‘ unseres Partnervereins PERSPEKTIVE ohne Grenzen e.V., das bereits 1978 (!) von Hans-Wolff Graf entwickelt wurde. Die zukünftigen Wirtschafts- und Steuerwissenschaftler waren fasziniert, wie elegant-einfach und dennoch allumfassend eine Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme – die gemeinsam betrachtet werden sollten, da sie in unmittelbarem Zusammenhang stehen – sein kann. Vielleicht gelingt uns auch bald der nächste Schritt: Durch interessierte und für Alternativen offene Menschen auch Politiker davon zu überzeugen, daß die Einführung der Konzepte für ein völlig neues Staatswesen der Ukraine eine Chance auf der internationalen „Bühne“ eröffnen würden.

Ich bin überzeugt, daß eine kleine Gruppe von Menschen etwas bewegen kann, weil ich nach jeder Veranstaltung Beispiele dafür sehe: Nach jedem Seminar gab es Menschen, deren Augen wieder Feuer fingen, die zu leuchten begannen. Manche von ihnen kamen wieder und suchten weiter nach Antworten, nach Lösungsansätzen und nach Mitstreitern. Auch wenn nur wenige aus sich heraus die Ideen und Ansichten des ‚Anthropos e.V.‘ weitergaben, die ihnen neue Lebenswege aufzeigten, trug es zur Entfaltung der Arbeit in der Ukraine maßgeblich bei.

Aus dem Mut von Marta Simotjuk heraus, vor einem Jahr Hans-Wolff Graf nach Iwano-Frankiwsk einzuladen, entstand in diesem Jahr die Idee, eine umfassende Ausbildung in ‚Individueller Transsystemischer Psychologie (ITP – lesen Sie hierzu mehr auf Seite …), für ukrainische Psychologen und Pädagogen anzubieten. Die Ausbildung fing im April mit dem Thema „Das Lebensdreieck von Körper, Geist und Seele“ an. In weiteren Modulen beschäftigten wir uns mit den Themen „Das Struktogramm – Evolution sowie Funktionsweise unseres Gehirns und ihre Bedeutung für unseren Alltag“ und „Korruption versus Kooperation – Welche Rolle spielen sie in und für unser Leben?“. Jedes der Seminare dauerte nur eineinhalb Tage, aber jedes eröffnete eine Tür zu breitem Wissen, tiefem Begreifen und Verständnis komplexer Zusammenhänge in unserer inneren und äußeren Welt. Jedes der Seminare empfand ich aufgrund des regen Austausches von Gedanken, Erfahrungen und Gefühlen, Bildern und Weltvorstellungen, die diskutiert und oft mutig in Frage gestellt wurden, als eine unglaubliche persönliche Bereicherung.

Anastasiia Sydorenko und Hans-Wolff Graf im Gespräch beim Seminar “Korruption” in Iwano-Frankiwsk

Einige Teilnehmer der ITP-Ausbildung in Iwano-Frankiwsk

Die erste ukrainische ITP-Gruppe ist für mich wie ein Ozean, denn mit jedem neuen Treffen entdecken wir bei uns gegenseitig neue unerforschte Tiefen. Andererseits wächst diese Gruppe immer mehr zu einer Familie, die durch Neugier und Interesse „infiziert“ und von Vertrauen und Offenheit getragen ist, was jeder der Teilnehmer – da bin ich mir sicher – auch in seiner beruflichen und persönlichen Umgebung weitergibt.

Zusammenfassend möchte ich sagen, daß dieses Anthropos-Jahr in der Ukraine bei mir neue Pläne, Hoffnungen und Perspektiven für das Land Ukraine, für mein Heimatland, entstehen ließ: Es gibt immer mehr offene, interessierte und suchende Menschen, mit denen zusammen die Initiativen für einen ‚Anthropos e.V. – Für die Kinder diese Welt – Ukraine‘ ausgebaut werden können und die daran glauben, daß nur WIR selber Veränderungen in UNSERER Welt ermöglichen und voranbringen können.

Am Ende dieses Artikels möchte ich mich bei jedem bedanken, der mit seinen Gedanken und Gefühlen, mit seiner Hilfe und Unterstützung die Philosophie einer freien und friedlichen Welt lebt und weitergibt!

Angesichts der Arbeit in der Ukraine geht mein Dank allen voran an Dich, H.-W., für Deine Kraft, Deine Impulse, Deinen Mut, Deinen Glauben an Veränderungen, Deine Visionen, Deine Menschenliebe und Dein wunderbares Lebensmotto, was auch längst meines ist: Fragen – Lernen – Weitergeben!.

Mein Dank geht auch an Dich, Nicola Trautner, für Deine vielleicht nicht immer sichtbare, aber sehr präsente Begleitung und Unterstützung, für Deine Ideen und Gedanken, für Dein Interesse, Deine Neugier und Wärme, die immer wieder die Verbindung zwischen menschlichen Herzen aufbaut.

Ich wünsche jedem Leser, Partner und Mitglied, seine eigenen Flügel (wieder) zu entdecken und auszubreiten, weil jeder von uns einzigartig und bedeutsam ist und jeder die Verantwortung für UNSERE WELT mitträgt, wie es im folgenden Gedicht (auch in unserer Bibliothek) ‚Die Flügel‘ einer sehr tiefgehenden und klugen ukrainischen Dichterin und Schriftstellerin Lina Kostenko beschrieben wird.

Anastasiia Sydorenko

Die Flügel

Es stimmt, Beflügelte brauchen keinen Boden.

Sollte die Erde fehlen, gibt es stattdessen den Himmel.

Wenn das Feld fehlt, dann wird es die Freiheit geben.

Und einen fehlenden Partner, werden die Wolken ersetzen.

Das ist wohl die Wahrheit der Vögel.

Aber der Mensch? Was ist mit dem Menschen?

Er lebt auf der Erde. Kann selber nicht fliegen.

Hat aber Flügel. Hat aber Flügel!

Sie, diese Flügel, sind nicht aus Federn und Flaum,

Sie erwachsen aus Wahrheit, Ehrlichkeit und Vertrauen.

Beim Einen – aus der Treue zur Liebe.

Beim Anderen – aus ewigem Streben.

Beim Nächsten – aus der Zugewandtheit zur Arbeit

Oder der Großmut allen Sorgen gegenüber.

Bei noch jemand Anderem – aus einem Lied oder einer Hoffnung,

Aus der Poesie oder aus einem Traum.

Der Mensch kann scheinbar nicht fliegen,

Hat aber Flügel. Hat aber Flügel!

Lina Kostenko